Polen, Warschau, Bemowo. Manch Einheimischer hat noch nie davon gehört und ist dabei sicher schon oft die Straße "ul. Jerzego Waldorffa" im Warschauer Bezirk Bemowo entlang gefahren, ohne etwas Auffälliges zu sehen - die Rede ist von einer Offizierssiedlung, die etwas abseits der Straße liegt und in der Tat im Sommer kaum ins Auge fällt. Dabei ist das Areal rund um das ehemalige Fort Bema, das Teil der "Festung Warschau" war, heute ein beliebtes Naherholungsgebiet mit viel Publikumsverkehr.
In der polnischen Hauptstadt wird derzeit gebaut: Überall im Stadtgebiet entstehen große und kleinere Kolosse mit modernen Geschäfts- und Büroräumen. Auch gehobene und luxuriöse Wohnungen in geschlossenen Siedlungen sind stark gefragt. Einige solcher modernen Wohnanlagen befinden sich bereits rund um das ehemalige Fort Bema, das in nordöstlicher Richtung von der Offizierssiedlung abgeschlossen wird. Für Teile der Bezirksverwaltung schien es naheliegend, die brachliegenden Häuser zu Gunsten einer weiteren Wohnanlage abzureißen. Die Häuser stehen bislang nicht unter Denkmalschutz, dennoch rief der drohende Abriss Aktivisten und die Denkmalbehörde auf den Plan.
Symbiose zwischen historischer Architektur und polnischem Herrenhausstil
Bei dem Ensemble handelt es sich um vier repräsentative Gebäude, die parallel um einen Hof angeordnet sind. Sie wurden in den 20er Jahren als Wohnhäuser für Offiziere der polnischen Armee errichtet. Die Häuser gilten als herausragendes Beispiel der Architektur in der Zwischenkriegszeit. Der Warschauer Architekt Aleksander Sygietyñski kombinierte hier Stile des Historismus mit dem polnischen Herrenhausstil (Styl dworkowy), der als eigene Strömung innerhalb des polnischen Architekturstils Anfang des 20. Jahrhunderts entstand. In Polen findet man diesen Stil überwiegend bei Profanbauten wie Bahnhöfen, Schulen oder Verwaltungsgebäuden.
Die Generalsvilla
Oben in der Bildmitte befindet sich die sogenannte Generalsvilla. Hier waren höhere Offiziere untergebracht. Das Gebäude hat ein steiles Schrägdach und zwei parallele Seitenflügel mit mehrstöckigen Arkaden. Rein äußerlich betrachtet scheint das Haus trotz langjährigem Leerstand in einem annehmbaren Zustand zu sein. In der Vergangenheit gab es Pläne für die Errichtung eines Kulturzentrums, die jedoch wieder verworfen wurden. In den letzten Jahren blieb es still um das dominierende Haus am Platz.Wie ein Herrenhaus: Militärisches Bürogebäude
Die untere Bildmitte der Luftaufnahme zeigt das zweite große Gebäude auf dem Hof und befindet sich augenscheinlich in einem weitaus schlechteren Zustand. Es erinnert in seiner Erscheinung an ein Herrenhaus des 19. Jahrhunderts mit großzügigem Bogenportal im Haupteingang, Balkon, hohen Räumen und langen, einstöckigen Seitenflügeln. In der obigen Luftaufnahme kann man erkennen, dass ein Seitenflügel wesentlich länger ist; das resultiert aus der ursprünglichen Planung, die Flügel rückwärtig zu schließen. Das Gebäude wurde bis in die 70er Jahre verschiedenartig militärisch genutzt.Schönes Haus in ruhiger und unverbauter Lage, zentrumsnah
Die Standard-Floskel vieler Immobilienanzeigen könnte bei dieser Ansicht kaum treffender sein. Sie zeigt eine der beiden baugleichen Offiziers-Villen der Siedlung. Unter obiger Überschrift wäre ein solch historisches Haus überschaubarer Größe sicher ein Wohntraum vieler Menschen. Das Stadtzentrum befindet sich etwa 5 km entfernt. Einzigartige, von Grünflächen umgebene Villenbebauung der zwanziger Jahre
Bislang hat man den Gebäuden wenig Beachtung geschenkt. Die Abrisspläne sorgten jedoch für unerwartete Proteste, die schließlich Gehör fanden: Aufgrund der Initiative des Vereins "Kamień i co?", der sich für den Erhalt von Warschauer Denkmälern einsetzt, gingen bei den Behörden zahlreiche Schreiben mit der Bitte um Rettung der Gebäude ein. Ein Gutachten soll nun Auskunft über Zustand, Sanierungskosten und zukünftiger Nutzung des Ensembles geben, denn Warschaus Denkmalpfleger sehen das Areal als eineEinzigartige Villenbebauung der zwanziger Jahre. Die Woiwodschaft Masowien hat daraufhin ein Verfahren zur Eintragung in das Denkmalregister eingeleitet, das noch nicht abgeschlossen ist.